
Schizophrenie – Wenn die Wahrnehmung der Wirklichkeit sich verändert
Die Schizophrenie zählt zu den tiefgreifendsten und gleichzeitig am häufigsten missverstandenen psychischen Erkrankungen. Während sie in der medizinischen Fachwelt als komplexe Störung des Denkens, Fühlens und Wahrnehmens definiert ist, wird der Begriff im alltäglichen Sprachgebrauch oft missinterpretiert – etwa im Sinne einer „gespaltenen Persönlichkeit“. Doch Schizophrenie hat nichts mit multiplem Persönlichkeitswandel zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine schwere seelische Erkrankung, bei der das Erleben der Realität aus dem Gleichgewicht gerät – mit tiefgreifenden Folgen für Betroffene und ihr soziales Umfeld.
Was bedeutet „Schizophrenie“?
Der Begriff Schizophrenie wurde im Jahr 1911 vom Schweizer Psychiater Eugen Bleuler eingeführt. Er setzte sich ab von dem zuvor gängigen Krankheitsbild der „Dementia praecox“, das Ende des 19. Jahrhunderts von Emil Kraepelin beschrieben worden war – als früh beginnende, geistig abbauende Erkrankung. Bleuler war der Meinung, dass dieser Begriff zu negativ und einseitig war. Er wollte stattdessen das zentrale Merkmal der Erkrankung hervorheben: eine Spaltung (griechisch: schízein) der geistigen Funktionen (phrḗn) – also eine innere Zerrissenheit zwischen Gedanken, Emotionen und Verhalten.
Wichtig ist: Bleuler meinte keine gespaltene Persönlichkeit, wie man sie z. B. bei einer Dissoziativen Identitätsstörung findet. Vielmehr bezeichnete er einen Zustand, in dem das Ich seine Klarheit verliert, Gedanken und Gefühle sich verselbstständigen, und die Grenzen zwischen innerem Erleben und äußerer Realität verschwimmen.
Schizophrenie in der Geschichte – Zwischen Dämonisierung und Wissenschaft
Die Symptome, die man heute unter dem Begriff Schizophrenie zusammenfasst, sind kein Phänomen der Moderne. Schon in antiken Texten – etwa bei Hippokrates oder in der ayurvedischen Medizin – finden sich Beschreibungen von Menschen, die Stimmen hörten, sich von unsichtbaren Kräften verfolgt fühlten oder den Kontakt zur Wirklichkeit verloren.
Im Mittelalter und bis in die frühe Neuzeit wurden solche Zustände jedoch oft als Besessenheit, Hexerei oder göttliche Strafe gedeutet. Die Betroffenen wurden häufig ausgegrenzt, weggesperrt oder in kirchlichen Institutionen „behandelt“. Erst mit dem Aufkommen der modernen Psychiatrie im 19. Jahrhundert begannen Mediziner, solche Phänomene systematisch zu erfassen.
Emil Kraepelin unterschied erstmals klar zwischen manisch-depressiven Erkrankungen und der „Dementia praecox“ – einem Zustand, der durch frühzeitige geistige Eintrübung und fortschreitende Verschlechterung gekennzeichnet war. Bleuler korrigierte dieses Bild, indem er aufzeigte, dass der Verlauf nicht zwangsläufig negativ sein müsse und dass verschiedene Verlaufsformen existieren. Die heutige Bezeichnung „Schizophrenie“ hat sich international etabliert, obwohl sie – wie viele Fachleute betonen – nach wie vor missverstanden wird.
Der Begriff „schizophren“ in der Alltagssprache – ein problematisches Missverständnis
In der Alltagssprache wird „schizophren“ oft benutzt, um widersprüchliches oder wechselhaftes Verhalten zu beschreiben – zum Beispiel, wenn jemand sagt: „Der Politiker ist ja völlig schizophren – heute so, morgen so.“ Oder: „Ich fühle mich schizophren – ich will das Eine und tue das Andere.“
Diese Redewendung ist jedoch fachlich falsch und stigmatisierend. Sie vermischt Schizophrenie mit Dissoziativen Störungen (also z. B. einer „gespaltenen Persönlichkeit“) oder nutzt den Begriff metaphorisch für ein inneres Dilemma. Damit wird die tatsächliche Schwere der Erkrankung verharmlost – und Betroffenen gegenüber eine belastende, verfälschende Vorstellung verbreitet.
Der korrekte Gebrauch des Begriffs sollte der medizinischen und psychologischen Fachsprache vorbehalten bleiben. Inzwischen gibt es – insbesondere in Asien – sogar Diskussionen über eine mögliche Umbenennung der Erkrankung, um das Stigma zu reduzieren. In Japan wurde z. B. aus „Seishin Bunretsu Byō“ („gespaltene Geisteskrankheit“) offiziell „Tōgō Shitchō Shō“ („Störung der Integration“) – eine Bezeichnung, die weniger Angst und Missverständnisse erzeugt.

Krankheitsbild - Wenn die Realität verschwimmt
Schizophrenie ist eine chronisch verlaufende psychische Erkrankung, die in Schüben auftritt. In akuten Phasen kann es zu Realitätsverlust, Wahnvorstellungen, Halluzinationen und massiven Denkstörungen kommen. In stabilen Phasen überwiegen oft sogenannte Negativsymptome wie sozialer Rückzug, Antriebslosigkeit oder emotionale Verflachung.
Schizophrenie äußert sich sehr unterschiedlich, weshalb man heute von einem Spektrum schizophrener Störungen spricht. Die klassischen Symptome lassen sich grob in drei Kategorien einteilen:
1. Positivsymptome (etwas ist „zu viel“)
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Wahnvorstellungen: Überzeugungen, die nicht der Realität entsprechen, z. B. Verfolgungswahn („Ich werde abgehört“) oder Größenwahn („Ich bin ein Auserwählter“).
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Halluzinationen: Wahrnehmungen ohne äußeren Reiz, am häufigsten akustisch (Stimmen hören), aber auch visuell oder taktil.
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Formale Denkstörungen: Sprunghaftes, unlogisches Denken, Gedankenabriss oder Neologismen (neue Wortschöpfungen).
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Ich-Störungen: Das Gefühl, die eigenen Gedanken würden von außen beeinflusst oder entzogen – die Grenze zwischen Ich und Umwelt verschwimmt.
2. Negativsymptome (etwas fehlt oder ist vermindert)
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Antriebslosigkeit (Apathie), sozialer Rückzug
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Verarmung der Sprache und des emotionalen Ausdrucks
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Interessenverlust und Unfähigkeit zur Freude (Anhedonie)
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Verminderte Aufmerksamkeit und Konzentration
Diese Symptome sind besonders belastend, da sie oft über die akuten Phasen hinaus bestehen bleiben und das Alltagsleben stark einschränken.
3. Kognitive Symptome
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Probleme mit dem Gedächtnis, der Aufmerksamkeit und der Verarbeitung von Informationen
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Schwierigkeiten, logische Zusammenhänge zu erkennen oder soziale Situationen richtig einzuschätzen
Ursachen und Auslöser – Eine vielschichtige Entstehung
Die Ursachen der Schizophrenie sind noch nicht vollständig geklärt, aber es ist klar, dass sie multifaktoriell bedingt ist. Es kommen mehrere Einflussfaktoren zusammen:
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Genetische Veranlagung: Kinder schizophrener Eltern haben ein deutlich erhöhtes Risiko.
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Neurobiologische Veränderungen: Ungleichgewichte im Dopaminhaushalt und strukturelle Auffälligkeiten im Gehirn (z. B. vergrößerte Ventrikel).
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Frühkindliche Belastungen: Geburtskomplikationen, pränatale Infektionen, Mangelernährung.
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Psychosoziale Faktoren: Traumatische Erfahrungen, sozialer Stress, Isolation.
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Drogenkonsum: Insbesondere Cannabis, LSD oder Amphetamine können Auslöser oder Verstärker sein.
Die Schizophrenie entsteht also meist aus einem Zusammenspiel von biologischer Verwundbarkeit und belastenden Umweltfaktoren.
Behandlung – Zwischen Stabilisierung und Langzeitbetreuung
Die Schizophrenie ist heute gut behandelbar, aber nicht heilbar im klassischen Sinn. Ziel der Therapie ist es, akute Episoden zu lindern, Rückfälle zu verhindern und die Lebensqualität zu verbessern.
Die wichtigsten Bausteine der Behandlung:
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Medikamentöse Therapie: Antipsychotika (Neuroleptika) sind der zentrale Bestandteil. Sie wirken vor allem gegen Positivsymptome, können aber Nebenwirkungen haben.
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Psychotherapie: Kognitive Verhaltenstherapie hilft, mit Wahnvorstellungen umzugehen, Selbstreflexion zu stärken und Alltagsbewältigung zu fördern.
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Psychoedukation: Aufklärung über die Erkrankung für Betroffene und Angehörige, um Krisen frühzeitig zu erkennen und gemeinsam zu handeln.
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Soziotherapie und Reha-Angebote: Unterstützung bei Arbeit, Wohnen, sozialen Kontakten.
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Krisenintervention: In akuten Phasen oft stationäre Behandlung notwendig.

Schizophrenie verstehen heißt Vorurteile abbauen
Die Schizophrenie ist eine der rätselhaftesten und folgenreichsten seelischen Erkrankungen – und noch immer stark stigmatisiert. Dabei wissen wir heute, dass sie nicht das Ergebnis von Schwäche, Schuld oder Willensmangel ist, sondern ein multifaktorielles Zusammenspiel von genetischen, biologischen und psychosozialen Faktoren. Moderne Therapieansätze ermöglichen vielen Betroffenen ein stabiles, selbstbestimmtes Leben – wenn sie frühzeitig Hilfe erhalten und ihr Umfeld informiert und unterstützend reagiert.
Umso wichtiger ist es, dass wir sprachlich achtsam mit dem Begriff umgehen. Wer „schizophren“ sagt, sollte wissen, was er meint – und besser: was er nicht meint. Denn zwischen der Wirklichkeit der Krankheit und den Vorstellungen, die viele mit dem Wort verbinden, liegt oft eine ganze Welt. Eine Welt, die besser verstanden werden will – mit Empathie, Wissen und einem offenen Blick.
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