
Von Autor/-in unbekannt - HERITAGE/GETTY IMAGES/Bettmann Archive https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3232049
„In einer Welt, die von Männern kontrolliert wird, war sie die Frau, die mit ihrem Körper und ihrem Geist Krieg führte.“
Journalistin und Autorin Pat Shipman
Mata Hari – Mythos, Muse, Mysterium
Eine Frau zwischen Tanz, Täuschung und Tod
Sie war schön, exotisch, umstritten – und endete vor einem französischen Erschießungskommando. Mata Hari, bürgerlich Margaretha Geertruida Zelle, war eine der schillerndsten Frauen des frühen 20. Jahrhunderts. Ihre Geschichte liest sich wie ein Roman: ein Mädchen aus den Niederlanden wird zur Pariser Bühnenlegende – und schließlich zur Spionin im Ersten Weltkrieg. Oder war sie nur ein Sündenbock?
Herkunft und frühes Leben
Margaretha wurde als ältestes von vier Kindern am 7. August 1876 in Leeuward in den Niederlanden in eine wohlhabende Familie geboren. Ihr Vater Adam Zelle, ein Unternehmer mit Hang zum Spekulieren, war gesellschaftlich etabliert – bis er durch Börsenverluste alles verlor. Die Ehe der Eltern zerbrach, die Mutter starb, der Vater verschwand. Für die junge Margaretha bedeutete das eine abrupte Entwurzelung – eine emotionale Wunde, die sich durch ihr Leben zog: die Angst vor Armut, die Suche nach Schutz und Anerkennung durch Männer, und der Drang zur Selbstverwirklichung in einer Zeit, die Frauen kaum Raum ließ.
Mit 18 Jahren antwortete sie auf eine Heiratsanzeige des Offiziers Rudolf MacLeod, 20 Jahre älter, in niederländischen Kolonialdiensten. Die Ehe war von Anfang an von Machtungleichgewicht geprägt. In Niederländisch-Indien (Java) lebten sie in einer toxischen Beziehung: Rudolf war gewalttätig, betrog sie und behandelte sie wie eine Untergebene.
Dort starb ihr ältester Sohn Norman unter mysteriösen Umständen – vermutlich vergiftet durch eine Haushaltskraft, als Racheakt gegen MacLeod. Ihre Tochter Jeanne überlebte. Der Schicksalsschlag und die Isolation in der Kolonie formten Margarethas Misstrauen gegenüber Institutionen – und führten zu einer tiefen Lebenskrise. 1902 ließ sie sich von MacLeod scheiden, verlor aber das Sorgerecht für ihre Tochter.

Von unbekannt - unbekannt, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=3586164
„Ihr Tod war weniger das Ende einer Spionin als das Opfer eines Systems, das Angst vor der Freiheit einer Frau hatte.“
Feministische Historikerin Barbara Winslow
Die Geburt von „Mata Hari“
Alleinstehend, mittellos, ohne Ausbildung und gesellschaftlich geächtet, suchte sie in Europa nach einem Neuanfang. In Paris, damals das pulsierende Herz der Belle Époque, nahm sie die Identität von Mata Hari an – „Auge des Tages“, in Anlehnung an ihre Zeit in Java.
Sie behauptete, indischer Herkunft zu sein, Tochter eines Brahmanenpriesters – eine Lüge, aber eine, die perfekt in das orientalistische Weltbild Europas passte. Ihr „exotischer Tanz“ war eine Kombination aus klassischen europäischen Posen und fantasievollen Bewegungen, in durchsichtigen Gewändern, inspiriert von javanischen Tempelritualen – mehr Kunstfigur als authentischer Ausdruck.
Sie wurde schnell zur Sensation. Ihr Ruf war nicht nur auf Tanz gegründet, sondern auch auf Skandale, Affären und die Aura des Geheimnisvollen. Sie sprach mehrere Sprachen fließend, war gebildet, weltgewandt und wusste, wie man Männer um den Finger wickelt. Mata Hari wurde zur Ikone des Fin de Siècle: unabhängig, sexuell selbstbestimmt, kulturell aufgeladen – und zugleich Ziel für Neid und moralische Hetze.
Der Spionagevorwurf: Wahrheit oder Farce?
Der Weltkrieg als Bühne
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde das Reisen für eine kosmopolitische Frau wie Mata Hari gefährlich – aber auch verdächtig. Als Niederländerin war sie staatsrechtlich neutral, konnte sich also zwischen den Fronten bewegen – ideal für Spionage. Bald geriet sie ins Visier mehrerer Geheimdienste.
Sie hatte Beziehungen zu hochrangigen deutschen und französischen Offizieren, darunter ein deutscher Kronprinz. 1916 wurde sie von französischen Geheimdiensten mit der Mission beauftragt, deutsche Offiziere in Spanien auszuhorchen. Unklar ist, ob sie dies auch tat – oder nur vorgab, es zu tun.
Zugleich soll sie auch vom deutschen Geheimdienst (Abwehrstelle Köln) mit dem Codenamen H-21 geführt worden sein. Dokumente deuten darauf hin, dass sie diese Rolle nicht aktiv ausfüllte – oder möglicherweise nur zum Schein.
Der Prozess
Im Februar 1917 wurde sie in Paris verhaftet, kurz nachdem sie aus Spanien zurückkehrte. Der Prozess war ein mediales Schauspiel: ein undurchsichtiges Geflecht aus Indizien, Gerüchten, Fehlinterpretationen – und Sexismus. Die französischen Behörden suchten einen öffentlichen Schuldigen für die massiven Kriegsverluste. Mata Hari, die selbstbestimmte Frau mit Hang zur Verführung, passte perfekt ins Feindbild.
Sie wurde in 45 Minuten verurteilt – ohne konkreten Beweis für eine schwerwiegende Spionagetätigkeit. Weder hatte sie militärisch relevante Informationen übermittelt, noch direkt zum Tod von Soldaten beigetragen. Dennoch: Sie wurde zum Sündenbock für ein ganzes System.
Am Morgen des 15. Oktober 1917 wurde sie im Alter von 41 Jahren hingerichtet. Der Legende nach verweigerte sie die Augenbinde, trug einen eleganten Mantel – und blickte dem Exekutionskommando direkt in die Augen.

Von unbekannt - http://readordie.wikia.com/wiki/Mata_Hari, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=3586081
"Der Tanz ist ein Gedicht und jede seiner Bewegungen ein Wort."
Das Besondere an Mata Hari
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Selbstinszenierung: Mata Hari war ein frühes Beispiel für mediale Selbsterfindung. Sie war keine Tänzerin im klassischen Sinn, sondern eine Erzählerin mit dem eigenen Körper – ein Gesamtkunstwerk aus Mythos, Sexualität und Täuschung.
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Weibliche Unabhängigkeit: In einer patriarchalen Gesellschaft war sie eine Frau, die Männer nicht heiratete, sondern „benutzte“. Das wurde ihr zum Verhängnis. Nicht das, was sie tat – sondern was sie verkörperte, wurde ihr vorgeworfen.
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Projektion: Mata Hari war nicht die gefährliche Agentin, die man in ihr sah. Sie wurde zur Projektionsfläche für männliche Ängste: vor Kontrollverlust, weiblicher Sexualität, kultureller Entgrenzung.
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Tragische Figur: Ihre Geschichte war die eines emotional entwurzelten Menschen, der versuchte, aus Trauma eine Identität zu formen – und dabei in einem Spiel geopolitischer Interessen unterging, das er nicht verstand.
Nachwirkung
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Ihre Akte wurde 2017 von französischen Behörden teilweise freigegeben – viele Historiker*innen sehen darin die Bestätigung ihrer Unschuld.
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In Literatur, Film und Popkultur ist sie eine dauerhafte Figur des Geheimnisvollen: oft erotisiert, aber zunehmend auch als feministische Ikone interpretiert.
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Ihre Geschichte erinnert uns daran, wie leicht eine Frau in einer Männerwelt zwischen Macht, Sex und Krieg zerrieben werden kann – nicht wegen dem, was sie getan hat, sondern wegen dem, was sie symbolisierte.
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